Brief 59: Pleasure-Tabletts, Punk-Tusche & Ugly Art: Visual Diary

Dear writers,

davVisual Diary ist nicht nur meine neue Leidenschaft, fast jeden Tag sitze ich in der Früh im Bett und lass die Farbe über meine Tagebuchseiten fließen, vor, nach und während des Schreibens. Visual Diary ist auch eine Liebesbeziehung zwischen Text und Farbe, Sprache und Bild, Füllfeder und Pinsel, Kuli und Collage. Es gibt dreierlei Menschen, die davon profitieren können:

1. Die Tagebuchfans, Morgenseiten-SchreiberInnen, die schon Stöße von Notizbüchern mit Handschrift gefüllt haben. Sie können mit dem visuellen Element eine neue Tiefe, eine frische Quelle, ein phantastisches spielerisches Element dazu gewinnen.

2. Gibt´s die künstlerisch, bildnerisch geprägten Menschen, die manchmal auf Kriegsfuß mit dem Schreiben stehen. Für sie ist das Visual Diary der Königsweg zum Text, zum freien, eigenen Schreiben, zum Fluss der Gedanken.

3. Und dann gibt´s noch Leute, die mal vom Bild in den Text kommen und dann wieder vom Gedanken zum farblichen Ausdruck. Je nach Tag, je nach Laune, je nach Geschichte. So ist das bei mir.

davPleasure-Tabletts: An einem ganz (oder relativ) normalen Arbeitstag sitze ich in der Früh im Bett, neben mir ein Tablett mit Tee und ein anderes mit Aquarellfarben und Tuschegläschen in allerlei Farben. Auf meinen Oberschenkeln liegt ein gepolstertes Knietablett („laptray“  wie es die Briten zum Teetrinken im Bett verwenden), darauf befindet sich mein dickes gebundenes Tagebuch bzw. Sketchbook, mit stärkerem, aber noch ausreichend glattem Papier. Damit die Aquarellfarbe nicht durchsickert und gleichzeitig die Füllfeder ungehemmt über das Papier gleiten kann. What a pleasure: Heute streiche ich zuerst die Seite ein mit einem in klares Wasser getauchten Pinsel, danach kleckse ich ein frisches frühlingshaftes Blau und Grün aus dem Farbkasten drauf. Die Farbe zerrinnt, formt Muster, Zweige, Rinnsale. Alleine das zu erleben, beschert mir einen Glücks-Kick. Erstaunlich schnell trocknet das abstrakte Farbengemisch auf der Seite und ich setzte meine Füllfeder auf den Hintergrund. Groß und schwungvoll schreibe ich zuerst den Wochentag, das Datum und die Uhrzeit. Ich trinke einen Schluck Tee und los geht’s. Ich schreibe über diesen duftenden Frühlingsmorgen nach dem Regen, über eine neue Idee, einen Plan, eine Beziehung, eine Frage, eine Antwort, mein Leben. Auf welchen Farbklecks im Hintergrund welches Thema stößt, erquickt mich oder bringt eine neue Wendung des Schreibens hervor. Der Wert dieses Tagebuchschreibens, verstärkt durch bildnerisch-farbige Elemente, liegt am meisten am Zulassen des Spiels. Sich dieses Glück zu gönnen!

davPunk-Tusche: In meiner Schulzeit war Tuschezeichnen etwas Fades, Anstrengendes, Schwieriges. Die Feder kratzte und immer gab es Patzer. Doch jetzt – oh Wunder- habe ich die Tusche, nein die TuschEN, neu entdeckt.
Meine Künstler-Kollegin Ida Räther, mit der ich gemeinsam das Visual Diary-Seminar im writersstudio halte, hat mir zu Weihnachten ein Glas lichtechte Zeichentusche in Türkis geschenkt. Kurz darauf fuhr ich nach Salzburg zur Ausstellung von Raymond Pettibon, einem amerikanischen Punk-Comic-Artist: Wilde Bilder auf großem Packpapier mit farbbrillanten Tuschmalereien hüpften mich an. Das Schwarz schillert, das Rot schreit. Er hat mit Pinsel gemalt und geschrieben. Sprechblasen und Kommentare in jedem Bild. Seine Darstellungen sind oft impulsiv und unschön. Ich ging ganz nah an die Bilder heran, um das Schillern der Tusche zu sehen. Da war ich nicht mehr zu halten. Ich kaufte noch ein paar dieser netten kleinen Gläschen mit lichtfester, wasserfester Zeichentusche. Ich stellte das Rotorange und Sepia zu meinem Türkis und Schwarz auf das Tablett und dann…

davUgly Art: Das Problem bei Visual Diary und überhaupt am bildnerischen Schaffen ist, dass wir alle immer was Schönes produzieren wollen. Es soll gefallen. Einem selbst und den anderen. Im Idealfall (oder im angstbesetzten worst case), muss es herzeigbar sein. Also besser gleich gar nicht beginnen. Drehen wir doch die Sache um! Ich habe irgendwann begonnen, bewusst (auch) Ugly Art zu machen. An den noch dunklen Morgen im Winter saß ich oft über meinem Tagebuch noch ganz benommen von übellaunigen Träumen oder bedrückter Stimmung, weil eine Freundin von mir so schwer krank ist. Schluss mit hübschen Seiten, dachte ich, ich tauchte den Pinsel in die schwarze Tusche und zeichnete wilde, schiache Strichmännchen, falsch proportionierte Räume, Monster mit Sprechblasen. Die Schrift pinselte ich in Rotorange und ich war selbst schockiert über meine Stimmung, die hier sichtbar wurde. So dunkel, so wild, so alt. Dann erst, nach dem Zeichnen, nachdem ein Albtraum Bild und Farbe angenommen hatte, konnte ich schreiben. Über den Winter, die Trauer, die Wut und wie das Leben immer weiter geht. Das schiache Bild, die monströse Stimmung war jetzt außerhalb von mir. Nicht immer kommen das Bild oder die Farbe zuerst, Worte drängen zuerst aufs Papier. Aber dann lass ich weißen Rand oder eine Seite frei. Beim Schreiben springt mich ein Satz, ein Wort oder eine Szene an, die ich später male, mehr oder weniger abstrakt, mehr oder weniger schön. Aber immer tut es so gut!

VD_by_ida_lv_138Dieser spannenden Beziehung zwischen Schreiben und Klecksen, eigenen Worten und dem Einkleben von Bildern werden wir in Zukunft im writers’studio viel mehr Zeit widmen:

 

> Im Juli 2017 gibt´s – wegen großer Nachfrage- noch einen Zusatztermin für das Seminar Visual Diary.

> Neu: Zu Allerheiligen wird es einen 2. Teil zu Johannas beliebtem Seminar „Collage Dream Writing“ geben.

> Im neuen writers´letter, der gerade im Entstehen ist, bringen wir eine Liste mit Shops, in denen coole Materialien für Visual Diary und Collagenträume erstanden werden können.

Frohes Schaffen wünsch ich Euch allen!

Judith

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PS: Achtung, einen Zusatztermin zum Seminar „Krimi-/Roman konzipieren/plotten“ haben wir auch eingeschoben: 1.-5. Juni 2017. Rasch anmelden!

PPS: Save the date: Wir feiern heuer 15 Jahre writers´studio und deshalb veranstalten wir Anfang November einen 15-tägigen Gratis- Schreibmarathon im writers´ studio!. Mehr dazu in meinem nächsten Blog-Mail.

AKTUELL IM WRITERS´STUDIO

1. Restplätze

Travel Writing: Reiseberichte für Zeitschriften schreiben, Start: 12. Mai
The Language of Dreams: Poetry of the Soul: Capturing dreams through poetry and collage mit Victoria Rabinowe aus Santa Fe, Start: 17. Mai
Roman/Krimi schreiben: Mit Cliffhanger, roten Hering & Co Spannung entwickeln, Start: 1. Juni
Minilehrgang Presse: Journalistische Artikel & Pressemitteilungen texten, 3 Seminare zum Paketpreis, Start: 15. Juni
Slam Poetry! Schreiben und Performen (Aufbau-Workshop), Start: 30. Juni
Geballte Botschaften: Headlines, Titel, Slogans: Starke Überschriften für Artikel, Marketingtexte, Geschichten und Bücher, Start: 4. Juli
Visual Diary: Tagebuchschreiben vertiefen durch Kritzeln, Malen, Kleben & Doodlen, Start: 13. Juli
Frei geschrieben – Studium abschließen mit Schwung & Strategie. Mit neuen Methoden wissenschaftliches Schreiben knacken, Start: 29. Juli

2. Neu:
Für AbsolventInnen von „Memoir Buchprojekt“: Ab sofort gibt´s für die Memoir-in-Progress-Gruppe  (MIP) ein „Wahlabo mit freier Terminwahl“, bei Interesse bitte Mail an administration@writersstudio.at

3. Kostenlose Infotermine
Mi, 10. Mai, 18 Uhr zu allen Seminaren aus dem Bereich „Passion Writing“
Do, 8. Juni, 18 Uhr zu den Lehrgängen Passion Writing 2017/18 und Texten im Beruf 2017/18
Fr, 9. Juni, 18 Uhr zum Lehrgang SchreibtrainerIn werden (TIP) 2017/18
Mo, 23. Juni, 19 Uhr zum Seminar Frei Geschrieben
Fr, 15. September, 18 Uhr (Achtung: geänderter Termin, statt Do 7. Sept!) zum Lehrgang SchreibtrainerIn werden (TIP) 2017/18
Vorschau Open House: 2 Tage lang gratis Workshops am 22. & 23. September

4. Jede Woche ein Schreibtreff im writers´studio:
Schreibnacht: Jeden 1. Freitag im Monat.
1-Day Retreat mit Frühstück: Jeden 2. Montag im Monat.
Schreib-Fabrik mit Friendly Feedback: Jeden 3. Montag im Monat.
Schreib-Café mit Easy Yoga: Jeden 4. Donnerstag im Monat.
Schreibsonntag: 1 x im Quartal, nächster Termin: So, 23. Juli 2017

Fotoquellen: Judith Wolfsberger & Ida Räther